Inhalt des ersten Buches

Eigentlich erzähle ich nur eine Geschichte: Die wahre Lebensgeschichte meiner schwer­behinderten Tochter Eva Thaler und tue das nicht nur, weil ich es ihr versprochen habe, bevor sie am 23. Januar 2012 einunddreißigjährig starb. Evas Tod beendete einen Sterbe­prozess, der genaugenommen bereits am 20. Juli 2010 mit einer Art Nahtod- Erfahrung begann und den sie Anfang des Jahres 2012 bewusst und in der sicheren Gewissheit beendete, endlich in unser aller ‚wahres Sein’ zurückzukehren.
Meiner Tochter Geschichte erzähle ich auch deshalb, weil Eva in der Zeit nach dem 20. Juli 2010 vielen Menschen Hoffnung geben und ihnen die Angst vor dem Sterben nehmen konnte, was ihr insbesondere mit ihrer Ausstellung ‚Reise in die Unendlichkeit’ im Sommer 2011 in der Münchner Flughafenkapelle beeindruckend gelang, als sie eigene Texte und Gemälde zu ihrem unglaublichen Erlebnis ausstellte.

Das Buch beginnt kurz nach Evas Geburt im Juli 1980, wo ich mein Verzweifeln beschreibe, als ich merke, mit meiner Tochter stimmt irgendetwas nicht, und die Konfronta­tion mit einer Ärztin, die meine Ängste knapp und kühl verstärkt, statt sich Zeit für ein einfühlsames Gespräch zu nehmen. Es folgen weitere Begegnungen mit Ärzten, die erschreckend und nicht hilfreich sind und ich berichte, wie ich mich in dem Gefühl versagt zu haben, monatelang verkrieche, bevor ich erkenne, meiner Tochter auch selber helfen zu können.
Geschrieben habe ich meine Geschichte autobiografisch und im Präsens, so, als würde ich alles im Moment erleben, was ich beim Schreiben auch tatsächlich so empfand. Gerade die Erlebnisse der ersten Jahre sind wie eingebrannt in meinen Kopf und die Dialoge aus dieser Zeit teilweise wörtlich abrufbar.

Viele Jahre glücklicher Gebor­genheit Evas in unserer intakten Familie mit drei großen Brüdern beschreibe ich weiter, in denen sich meine Tochter verstanden fühlt, ohne selbst sprechen zu können, und in denen sie und ich intensiv und fröhlich daran arbeiten, ihr Möglichkeiten zur geistigen und körperlichen Weiterentwicklung zu verschaffen. Viele Methoden und Therapeuten lernen wir kennen, und lange Zeit bin ich mir sicher, die richtige Methode noch zu finden, um meiner Tochter in ein einigermaßen ‚normales’ Leben helfen zu können. Immer wieder gibt es dafür sogar berechtigt Hoffnung.

Es folgen im Verlauf der Geschichte Phasen, in denen Eva in Schulen für Geistigbehinderte zunehmend am Leben verzweifelt ob ihrer Sprachlosigkeit und der Art, wie man sie behandelt und in denen ich in nutzlosen Gesprächen vergeblich versuche, ihr Leben dort zu verbessern.

Als Eva gerade achtzehn Jahre alt ist, geschieht indes ein Wunder und es folgen Jahre großer Hoffnung, als meine Tochter über die Methode ‚Gestützte Kommuni­kation’ ( Facilitated Com­muni­cation, ‚FC’ ) die Möglichkeit zum Austausch mit ihren Mitmenschen bekommt. Mit dieser Möglichkeit, die ihr nun erlaubt, differenziert zu kommunizieren, kann Eva endlich ihren ‚Hochsicherheitstrakt’, wie sie die letzten Jahre selbst bezeichnet, verlassen und mir ihren lebenslangen Wunsch mitteilen, eine ‚richtige’ Schulbildung nachholen zu wollen. Eva hofft, damit den Grund­­stein für ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu legen.

Alles, wofür Eva mutig und geduldig kämpft, wird ihr nicht leicht gemacht, doch von Zeit zu Zeit gelingen ihr unglaubliche Erfolge, mit denen sie sich Respekt ver­schaffen und Hoffnung schöpfen kann. So gelingt ihr nach zwölf Jahren Sonder­schule, allen Unken­rufen zum Trotz, der Über­tritts­test für den Besuch einer integrativen Münchner Real­schule und einige Jahre später bekommt sie dort nach erfolgreichem Bestehen ihrer Abschluss­prüfung das Zeugnis der mittleren Reife.

Obwohl Eva sich so gerne weiter gebildet hätte, zunächst mit dem Besuch der Fachoberschule und daran anschließend am liebsten mit einem Studium, wird die Zeit nach der Realschule für sie und mich zu einer Art Dauerprüfung, in der es uns einfach nicht mehr gelingt, gute Be­glei­ter­innen zu finden, die die Methode ‚FC’ wirklich gelernt hätten, was jedoch absolute Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben und Arbeiten gewesen wäre. Zum Schluss bleibe einzig ich, Evas Mutter, als ‚Kommunikations­helferin’ übrig, wo sie indes genau mich längst hätte los lassen wollen. Zunehmend macht sich Eva nämlich Sorgen um meine Gesundheit.
Der ewigen erfolglosen Versuche überdrüssig, ein funktionierendes Assisten­ten­team aufzu­bau­en und anzu­ler­nen, hört sie auf, an ein eigenständiges Leben zu glauben und kommt zu der Erkenntnis:  „Ich bin einfach zu schwierig in der Handhabung.“

Bevor Eva an dieser Erkenntnis indes verzweifelt, taucht sie nach einem Gespräch über das Sterben und nach einem anschließenden Mittagsschläfchen, aus dem sie gerade erfwacht, völlig unerwartet und für kurze Zeit hinein in eine neue Welt jen­seits unserer irdischen. Schlagartig wird ihr dabei klar, dass das Leben auf Erden nicht unser wirkliches bedeutet und dass es von uns Menschen völlig über­bewertet wird. Eva erkennt, dass irdisches Leben nur einen Weg des Lernens und sich Bewährens auf einer bestimmten Seinsebene darstellt.

Nach dieser besonderen Erfahrung ist sich Eva sicher, in aller Kürze zu sterben und im festen Glauben darauf, einen der folgenden Morgen nicht mehr aufzuwachen, verabschiedet sie sich innig von allen Menschen, die ihr wichtig sind. Erstaunt und enttäuscht bleibt sie jedoch am Leben, was sie kaum mehr und nur noch mit äußerster Mühe erträgt. Zu schön war das Eintauchen in eine leuchtende Unendlichkeit, in der ihre zuletzt ständigen Schmerzen wie durch Zauber verschwun­den waren und wo sie von geliebten Menschen empfangen wurde.

Um das Gefangensein im behinderten Körper weiter auszuhalten, tauscht sich Eva nun intensiv mit Menschen aus, die an ihrem Erlebnis interessiert sind, und es entstehen in dieser Lebensphase tief­gründige philosophi­sche Texte.
Gleichzeitig versucht Eva, von mir dabei gestützt, ihre Erfahrung in farbigen Gemälden darzustellen. Seit Eva sich in der Realschule für den Kunstzweig entschieden hat, malt sie gestützt und eigenständig Bilder.
Mit ihren Texten und Bildern will Eva, angeregt von ihrem Mentor Bogdan Snela, in ihrem letzten Lebensjahr nur noch die empfangene Botschaft weiter vermitteln, die ihr nun einzig wichtig scheint: Wir Erdenbürger brauchen keine Angst vor dem Tod zu haben und sollen das, was uns hier begegnet und wichtig scheint, nicht überbewerten.

„Nur Sehen lernen und Liebe üben hat ganz großen Wert. Nichts sonst.“

Sobald Eva fühlt, ihre Botschaft erfolgreich verbreitet zu haben, zum einen mit der Aus­stellung ihrer Gemälde und Texte im Sommer 2011, zum anderen durch eine Reportage über sie Ende desselben Jahres in der Süddeutschen Zeitung, gibt sie sich in völligem Einklang mit sich selbst und ihrem Leben, im Bewusstsein, ihren irdischen Auftrag erfüllt zu haben, dem Sterben hin und stellt konsequent Essen und Trinken ein.

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